Laudatio auf den Querverlag
Von Kristine Listau, Mitglied der Jury des Berliner Verlagspreises 2020
Vor 25 Jahren haben Jim Baker und Ilona Bubeck den ersten schwul-lesbischen Verlag Deutschlands gegründet und ihn Querverlag genannt. Es ist bis heute ein einzigartiges Unterfangen in der deutschsprachigen Verlagsgeschichte.
Einen Verlag überhaupt zu gründen, ist zumeist ein mutiger, um nicht zu sagen ein waghalsiger Schritt. Es ist nicht leicht, die eigene Leidenschaft für Bücher, sei es für Literatur oder für gesellschaftsrelevante Themen, auch in wirtschaftlichen Erfolg zu verwandeln. Dies wird auch nicht einfacher, wenn ein Verlag sich gegen den Mainstream entscheidet, sich explizit dafür entscheidet, Bücher aus der schwul-lesbischen Community zu veröffentlichen. Dass es den Querverlag nach wie vor gibt, grenzt jedoch nicht an ein Wunder, sondern beweist, dass Idealismus, Sehnsucht nach anderer Perspektive und politische Notwendigkeit zielführend sein können. Der Verlag verdankt es aber insbesondere dem Wissen der beiden Verleger_innen, ihrem guten Instinkt für Texte und Autor_innen, ihrer Disziplin (wahrscheinlich bis hin zur Selbstausbeutung) und auch ihrem Händchen fürs Geschäft.
Mit der Auszeichnung des Querverlags mit dem Berliner Verlagspreis feiert Berlin also Jim Baker und Ilona Bubeck, ihre damalige Entscheidung, ihr unermüdliches Tun sowie ihre Autor*innen und Bücher, denn sie bereichern unsere Gesellschaft.
Wie es in ihrer Bewerbung für den Preis heißt, war es von Anfang an Ziel des Verlags, anspruchsvoller und zugleich unterhaltsamer Literatur mit schwulen und/oder lesbischen Inhalten eine Heimat und einen Platz zu bieten. Dies ist ihnen mehr als gelungen, befanden wir in der Jury.
Die Vielfalt des Querverlag-Programms ist enorm, veröffentlicht werden Romane, Krimis und Sachbücher, aber auch politische, aktivistische sowie akademische Arbeiten von, für und über Menschen jenseits des heteronormativen Mainstreams.
Für breite Aufmerksamkeit hat der Verlag mit ihrer sogenannten »Kreischreihe« auch außerhalb der LGBTIQ-Szene gesorgt: Anthologien wie »Freiheit ist keine Metapher – Antisemitismus, Migration, Rassismus, Religionskritik«, »Beißreflexe – Kritik an queerem Aktivismus, autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten« sowie »Feministisch streiten – Texte zur Vernunft und Leidenschaft unter Frauen« lösten vielfach Diskussionen und Sensibilisierung für wichtige Themen unserer Zeit aus. Dies macht einen guten Verlag aus.
Woran erkennt man einen guten Verlag noch?
Etwa an der Treue der Autor_innen. So hat die Berliner Autorin Karen-Susan Fessel, die im Februar 2020 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande für ihre literarischen und sozialen Verdienste ausgezeichnet wurde, dieses Jahr mit »In die Welt« ihren vierzehnten Roman im Querverlag veröffentlicht.
Oder daran, dass der Verlag sich auch nicht davor scheut, junge Autor*innen zu entdecken und zu fördern. Als Beispiel sei hier der Berliner Autor Dennis Stephan genannt, der mit seinem Roman »Und in mir ein Ozean« auf der Liste der Nominierungen für den Hotlist-Preis der unabhängigen Verlage 2019 stand. Und ich persönlich freue mich schon sehr auf den Debütroman »Fromme Wölfe« von Kevin Junk, der im Frühjahr 2021 erscheinen wird.
Schließlich erkennt man einen guten Verlag, dass dieser aktuelle, zeitdiagnostische Sachverhalte zu erkennen vermag. Der Sachbuchbereich umfasst Ratgeber und Nachschlagewerke bis hin zu wissenschaftlicher Grundlagenliteratur. Patrick Henzes »Schwule Emanzipation und ihre Konflikte. Zur westdeutschen Schwulenbewegung der 1970er Jahre« ist ein spannendes Beispiel. Hier ist auch unbedingt die erste Dokumentation internationaler Wissenschaftler_innen zur Aufarbeitung der Verbrechen im Konzentrationslager Auschwitz unter dem Titel »Erinnern in Auschwitz – auch an sexuelle Minderheiten« zu nennen.
Der Jury des diesjährigen Berliner Verlagspreises ist es ein Anliegen und eine große Freude, diesen wunderbaren, für Berlin und weit darüber hinaus wichtigen Verlag sowie seine charismatischen Verleger_innen Jim Baker und Ilona Bubeck zu ehren. Wir gratulieren ganz herzlich!
Die Laudatio wurde am 24. November 2020 live auf dem digitalen Empfang im Anschluss an die Verleihung des Berliner Verlagspreises vorgetragen. Foto der Preisträger: Tim Holland