Laudatio auf den Secession Verlag

Von Cornelia Geißler, Mitglied der Jury des Berliner Verlagspreises 2021

In der Kulturgeschichte Berlins hat der Name Secession einen guten Klang, denn er verbindet sich mit einem Maler wie Max Liebermann, mit der Grafikerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz. Doch soll hier nicht von den Bildenden Künstlern die Rede sein, die sich um 1900 von ihren alten Kreisen abspalteten und einen eigenen Club gründeten. Es geht der Jury um einen Verlag, in Zürich geboren, nach Berlin erweitert, seit 2018 in Berlin zu Hause, der zwar sein spezielles Programm verfolgt, bei dem die Spaltung aber nur die eigenen Buchstabenköpfe trifft: Einmal glatt abgeschnitten und unten wieder angesetzt erscheint der Name Secession in den Verlagsprospekten und auf dem fliegenden Blatt des Vorsatzbogens.

Da verlieren wir uns in buchgestalterische Details – aus gutem Grund. Solche Feinheiten gehören unbedingt dazu, wenn Christian Ruzicska und Joachim von Zepelin für ihre Arbeit zu würdigen sind. Der Große Berliner Verlagspreis gilt einem ausgeklügelten Spektrum deutscher und internationaler Literatur, in dem jedem einzelnen Titel die Liebe zum Objekt Buch anzusehen ist. Der farbige Vorsatzbogen, also das Blatt, das Buchdeckel und -block verbindet, trägt nicht nur den gekappten Verlagsnamen, sondern auch stets links einen extra Papierstreifen mit dem Klappentext. Und jedes Buch, ob in grobes Leinen gebunden wie Frank Steinhofers Debüt „Das Terrain“ oder der in geprägte Pappe gepackte Roman »Denk an die Steine unter deinen Füßen« von Antoine Wauters, jedes Buch hat ein leserfreundliches Lesebändchen.

Ein Ausflug in die Geschichte ist nicht verkehrt, wenn man sich mit dem Programm von Secession beschäftigt, erscheint hier doch die auf 15 Bände angelegte »Handliche Bibliothek der Romantik«, im September 2020 furchtlos mit »Gespenstern« begonnen. Eine andere Reihe ist den Femmes de Lettres, dichtenden Frauen früherer Jahrhunderte gewidmet, zum Beispiel mit Sibylla Schwarz, 1621 in Greifswald geboren.

In etlichen Ausgaben des Verlags spiegelt sich die fortwirkende Geschichte des 20. Jahrhunderts. Zum Beispiel in dem Buch »Die Gedächtnislosen« der Deutsch-Französin Géraldine Schwarz, das darauf drängt, auf die Verschiebung der Stimmungen zu achten. Oder, ganz anders, in Deborah Feldmanns »Unorthodox«, das auf Deutsch bei Secession herauskam, bevor Maria Schrader es in eine Serie verwandelte. Hervorzuheben ist auch ein besonderes, großes Projekt des kleinen Verlags: »Liebe Kitty« von Anne Frank, 2019 erschienen. Diesen Briefroman vom Leben im Versteck hatte Anne Frank selbst parallel zu ihrem eigentlichen Tagebuch bearbeitet. Die Germanistin Laureen Nussbaum, die einst in Amsterdam im selben Viertel wohnte wie Anne Frank und emigrieren konnte, hatte angeregt, diese Fassung extra zu publizieren. Und der Verlag verschaffte dem nicht nur eine schöne Gestalt, sondern auch eine große Bühne zur Buchpremiere im Berliner Ensemble. Eine Art Fortsetzung dazu erschien mit dem Band »Nach dem Tagebuch« in diesem Jahr, einer akribischen Recherche über das Schicksal der Familie Frank und der mit ihr im Hinterhaus Untergetauchten nach der Verhaftung am 4. August 1944.

»Ist das alles noch wirklich?«, fragten die Verleger im Vorspruch ihres Frühjahrsprogramms 2021 angesichts der Corona-Pandemie, »müssen wir fürchten, dass die Wirklichkeit die Fiktion einholt?« Dazu stellten sie etwa Dulce Maria Cardosos Roman von der Flucht einer Siedlerfamilie aus Angola in die vermeintliche Heimat Portugal und Nils Tredes dystopischen Mittelmeer-Roman »Richtung Süden« – mit der Ankündigung, beide Autoren würden zur Leipziger Buchmesse kommen. Die schlechte Pointe ist bekannt: Die Messe fiel aus.

Für ihr 23. Programm sparten sich die Verleger die Vorrede. Es ging wieder aufwärts. Wer im Oktober in Frankfurt am Main am Buchmesse-Stand von Secession vorbeikam, sah optimistische Männer in Gespräche vertieft. Und auf die Frage »Welches Buch soll ich in diesem Herbst unbedingt lesen?« gab es mindestens fünf Antworten. Wir haben es ausprobiert.

Der Große Berliner Verlagspreis ehrt beharrliche Begeisterung für das Buch als Buch, für Dichtung und Erzählung, für den Wert der Geschichte und die Anstiftung zum Denken ohne Grenzen.

Herzlichen Glückwunsch, Christian Ruzicska und Joachim von Zepelin!