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Laudatio auf den Verlag Voland & Quist

Von Philipp Böhm, Mitglied der Jury des Berliner Verlagspreises 2024

Wenn sich ein Verlag nach dem leibhaften Teufel aus einem Klassiker der russischen Literatur sowie nach einem autodidaktischen Sprachgenie aus einem niederländischen Achthundert-Seiten-Werk benennt, dann darf man einiges von ihm erwarten ­­­­– aber eines definitiv nicht: Langeweile.

Die beiden Gestalten heißen Woland und Quist, ihre Erfinder heißen Michail Bulgakow und Harry Mulisch; und dem Verlag, der ihnen seinen Namen verdankt ­­­­– mittlerweile als VQ abgekürzt ­­­­– dürfen wir heute mit großer Freude den Großen Berliner Verlagspreis verleihen.

Gegründet wurde Voland & Quist 2004 von Leif Greinus und Sebastian Wolter in Dresden, seit 2020 operiert der Verlag vollständig aus Berlin, Die Anfänge sind stark mit der Lesebühnenszene verknüpft, mit Veranstaltungsreihen wie der Reformbühne Heim & Welt, den Surfpoeten, oder den Brauseboys. Viele ihrer Protagonistinnen haben ihre ersten Bücher bei Voland&Quist veröffentlicht und vielleicht ist es dieser Hintergrund, der den Verlag seine besondere Abneigung gegen klare Kategorisierungen hat bewahren lassen – das Bewusstsein dafür, dass es nicht darauf ankommt, ob ein Text zuerst auf einer Bühne oder zwischen zwei Buchdeckeln seine Rezipienten findet, wenn es denn ein guter Text ist.

Denn bis heute erscheinen in diesem Verlag Bücher, die sich durch eine Freude am Spiel mit Formen auszeichnen, durch ein großes Vertrauen in die eigenen Gesetze des Textes. Ein Buch wie »Ist hier das Jenseits, fragt Schwein« von Noemi Somalvinco, in dem zwei sprechende Tiere einen Apparat entwerfen, mit dem sie sich in Gottes Wohnzimmer beamen können, kann hier stellvertretend genannt werden für eine Sorte Buch, das mit viel Witz und sprachlichem Wagnis dann doch die ernsten Fragen des Lebens behandelt.

Ein verlegerisches Wagnis ist ein solches Buch in jedem Fall. Doch scheinen Wagnisse diesem Verlag nicht fremd zu sein, der in einem Jahr, in dem das Druckpapier teuer wie nie ist, einen »totalen Roman«, wie es in der Verlagsvorschau heißt, von 744 Seiten herausgibt, eine Übersetzung noch dazu: Das Buch »Europas Hunde« des belarussischen Autors Alhierd Bacharevic, das zugleich satirisch scharf und phantastisch fabulierend geschrieben ist und in der Heimat seines Autors mittlerweile verboten wurde. Ein Buch, das übrigens gleich eine Sprache miterfindet. Und wenn es keine »totalen Romane« sind, dann beweist Voland & Quist mit Entdeckungen aus den gegenwärtigen süd- und osteuropäischen Literaturszenen, mit Fußballbüchern oder noch schwieriger: mit Lyrik immer wieder aufs Neue verlegerischen Mut und Vertrauen darin, dass auch Bücher abseits der bekannten und erprobten Formen funktionieren. Das große Echo, das zuletzt der Gedichtband »Nachwasser« von Frieda Paris erfahren hat, dürfte ihnen recht geben.

Es passt gut, dass sich dieser Verlag zu seinem zwanzigsten Geburtstag nun die Urfassung von Bulgakows »Meister und Margarita« unter dem Titel »Der schwarze Magier« schenkt ­­­­– das Buch, in dem Voland, einer der beiden Namensgeber des Verlags, das postrevolutionäre Moskau in Chaos stürzen lässt. Etwas von diesem subversiven Geist, der Bulgakows Buch durchzieht, scheint aufs Schönste auch in den Vorschauen des nach ihm benannten Verlag durch, dessen Bücher sich nicht gern einordnen lassen. Voland & Quist erweist sich darin als ein unabhängiger Verlag in jeder Hinsicht.

Vieles könnte man noch hervorheben, was diesen Verlag so besonders macht. Umso beachtlicher ist es, wenn man bedenkt, dass nur zehn Mitarbeiterinnen so viel Literatur in die Welt bringen: ein Kinder- und Jugendbuchprogramm, Comics, zahlreiche Erstübersetzungen, das Imprint der ehemaligen Edition Azur für Gedichtbände und mittlerweile auch ein eigener Bereich für Übersetzungen ins Englische, in dem u.a. Texte von Mithu Sanyal, Lucy Fricke und Karosh Taha erschienen sind.

Die Jury ist überzeugt: Voland & Quist steht für literarische Stimmen, die trotz ihrer Unterschiedlichkeit perfekt zueinander passen – und doch ist jede einzelne unverwechselbar. Der Verlag wagt Experimente, entdeckt neue literarische Welten und vertraut darauf, dass Bücher nicht in die etablierten Muster des Publizierens und Präsentierens gepackt werden müssen, um zu funktionieren. Und genau deshalb feiern wir in diesem Jahr nicht nur den zwanzigsten Geburtstag von Voland und Quist ­­­­– wir gratulieren herzlich auch zum Großen Berliner Verlagspreis!