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Laudatio auf den Reprodukt Verlag

Von Gesa Ufer, Mitglied der Jury des Berliner Verlagspreises 2024

Als Dirk Rehm ein Kind war, da waren diese Hefte so verpöhnt, dass ein anderes Kind aus der Nachbarschaft seine Exemplare zuhause hinter den Fliesen der Badewanne verstecken musste.

Wenn Sie jetzt denken, oh, nein, jetzt werden hier Herrenmagazine ausgezeichnet: Nein…es geht um Comics!

Liebe Gäste, es ist mir eine große Freude und Ehre verkünden zu dürfen, dass einer der Berliner Verlagspreise an den Verlag Reprodukt und seinen Gründer Dirk Rehm geht.

Lassen Sie mich kurz auf die Anfänge des Verlags erinnern: 1991, als die meisten hier in Berlin vielleicht gerade mal Donald Duck, Asterix oder die Digedags kannten, beschloss Dirk Rehm, einen eigenen Verlag zu gründen – einen Verlag, der Comics nicht als bloße Unterhaltung, sondern als ernstzunehmende Literaturform begreift. Damals ein gewagter Schritt, denn Comics galten hierzulande vielfach noch immer als Schund für Kinder und/oder Analphabeten. Auf die Frage, warum er diesen Schritt gemacht habe, hat Dirk Rehm mal in einem Interview die sehr plausible Antwort gegeben: »Es gab damals keinen Verlag in Deutschland, wie ich ihn hätte haben wollen«. So kam Reprodukt in die Welt.

Anfangs konzentrierte sich der Verlag auf den amerikanischen Underground, insbesondere die Alben der Serie »Love & Rockets«, die zusammen mit der Schweizer Edition Moderne herausgegeben wurden. Aber es dauerte nicht lange, bis Reprodukt den Blick erweiterte und französische und frankobelgische Comics ins Programm aufnahm – eine Tradition, die bis heute fortgeführt wird. Mit den Jahren wurde Reprodukt zu einer Art Brücke zwischen internationalen Comicwelten und der deutschen.

Statt klassischer Superhelden-Comics konzentrierte Reprodukt sich dabei vor allem auf sogenannte »Autorencomics«, bei denen die Künstlerinnen und Künstler selbst, ihre persönlichen Geschichten und Blickwinkel im Mittelpunkt stehen. Guy Delisle etwa, der uns in seinen Reiseaufzeichnungen in die entlegensten Winkel der Welt mitnimmt, oder Anke Feuchtenberger, die mit ihren grafischen Arbeiten zu einer der wichtigsten deutschen Comiczeichnerinnen geworden ist, sind Beispiele für dieses anspruchsvolle Programm.

Neben der Fähigkeit, internationale Größen nach Deutschland zu bringen, hat es sich Reprodukt auch zur Aufgabe gemacht, die deutschsprachige Comicszene selbst aufzubauen und zu fördern. Schon Mitte der 90er begann der Verlag, deutsche Zeichnerinnen und Zeichner zu verlegen, die zuvor nur in kleiner Auflage oder als Fanzines erschienen waren. Namen wie Mawil, Barbara Yelin, Sascha Hommer, Aisha Franz oder Arne Bellstorf haben durch Reprodukt ein breites Publikum gefunden.

Auch Mawils »Kinderland« sei unbedingt noch genannt – ein Comic, der sich in den ersten Monaten nach seiner Veröffentlichung über 10.000 Mal verkauft hat und heute zu recht zu DEN deutschen Comic-Klassikern gehört. Eine Geschichte über das Leben in der DDR, die in einer Form erzählt wird, die Literatur und bildende Kunst in einzigartiger Weise vereint, und das Unaussprechliche sichtbar werden lässt, wie es eben nur Comics können.

Auch der Kindercomic, ebenfalls lange Zeit ein Stiefkind der Literatur, erfährt durch Reprodukt eine besondere Wertschätzung. Eine großartige eigene Kinder-Comic-Reihe und aber auch Veranstaltungen wie der Kindercomic-Tag hier in Berlin sind Beispiele dafür, wie der Verlag es schafft, Comics in die Hände von jungen Leserinnen und Lesern zu bringen. Denn Comics, das hat sich längst in der Leseförderung herumgesprochen, sind nicht nur ein Einstieg in die Welt der Bücher, sie sind ein Bindeglied zwischen der Fantasie und der Realität, zwischen Bild und Text. Sie fördern die Kreativität und das Verständnis für komplexe Geschichten – und sie machen einfach Spaß.

Nicht unerwähnt bleiben sollen die wirtschaftlichen Herausforderungen. Die Gewinnmargen in der Comicszene sind deutlich kleiner als in der Belletristik, und die Produktionskosten von aufwändig gestalteten Comicbänden oft hoch. Qualität, künstlerische Freiheit und der Glaube an die Kraft des Comics stehen für Dirk Rehm und sein Team trotzdem immer an erster Stelle.

Kurzum: Der Reprodukt Verlag ist schon lange eine echte Institution, weit über die Grenzen Berlins und Deutschlands hinaus. Dirk Rehm und sein Team haben mit viel Leidenschaft, Beharrlichkeit und Mut ein einzigartiges Werk geschaffen, das uns neue Welten eröffnet und neue Möglichkeiten des Erzählens.

Lieber Dirk Rehm, lieber Reprodukt Verlag – ich gratuliere euch von Herzen zu diesem Preis. Und wir danken Dir und Euch gleichzeitig für Eurer Engagement und für all die großartigen Büchern.
Herzlichen Glückwunsch zum Berliner Verlagspreis!