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Laudatio auf den März Verlag

Von Philipp Böhm, Mitglied der Jury des Berliner Verlagspreises 2025

Glaubt man dem Gründer dieses Verlags, so ging es mit diesen Worten los: »Wir gründen heute einen Verlag, die Olympia Press, und morgen werden wir noch einen zweiten Verlag gründen, den Namen weiß ich noch nicht, überlegt mal einen Verlagsnamen.« Und dieser »zweite Verlag«, der hier im Jahr 1969 noch mitgegründet werden sollte, wurde der März Verlag, der seinen Namen erhielt, weil es eben gerade März war ­­­­– und dem wir heute mit Freude den Großen Berliner Verlagspreis verleihen!

Und vielleicht kann man aus dieser ersten Szene des Verlags schon vieles ablesen, was diesen Verlag ausmachen würde; wenn man weiß, dass die genannte Olympia Press mit ihrem Vertrieb pornographischer Texte durch Querfinanzierung viel von dem ermöglichte, was der März Verlag in den kommenden Jahren verlegen sollte, dass der Gründung so etwas wie ein kleiner Coup vorausging und der neue Betrieb erst einmal als Kollektiv funktionieren sollte, neben vielem anderen: Dieser »zweite« Verlag hatte keine Scheu vor ungewöhnlichen Vertriebsmodellen und auch keine vor Kontroversen, war ganz nah dran an den Debatten seiner Zeit und dachte Bücher nicht aus einem Distinktionsbedürfnis heraus, sondern aus einer anderen, politischen Dringlichkeit.

»Sexfront«, »ACID« oder »Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer« hießen diese Bücher, die schon bald in ihrem unverwechselbare Look ­­­­– gelber Einband mit roter Schrift ­­­­– einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert wurden; ein Look, an dem noch viele Jahre später informierte Leser erkennen können, dass der so eingebundene Text mindestens eine besondere Relevanz haben würde: eine politische, ästhetische, gesellschaftliche Relevanz. Man könnte auch direkter sagen: Es waren und sind wichtige Bücher.

Jörg Schröder leitete den März Verlag bis zu dessen Auflösung 1988, ab 1981 gemeinsam mit Barbara Kalender. Und die hatte auch 2022 die Idee, zwei Jahre nach Jörg Schröders Tod, den März Verlag zusammen mit Richard Stoiber wieder aufleben zu lassen ­­­­– den Verlag und damit also jene spezifische Mischung aus anspruchsvollen, politischen, experimentellen Texten, Kritik und Krawall.

Der neue März macht in gewisser Weise dort weiter, wo der alte März aufhörte: mit Büchern, die sich nicht scheuen, die politische Gegenwart mit all ihren Widersprüchen, Zumutungen und unabgeschlossenen Fragen hereinzuholen, Büchern, die mal direkt politisch sind, mal ihre gesellschaftlichen Fragen mehr auf einer Formebene stellen.

In einem solchen Verlag erscheinen heute Bücher wie »Gott hassen« der norwegischen Autorin und Musikerin Jenny Hval, das, in Black-Metal-Ästhetik wie feministischer Theorie ebenso bewandert, mit den Mitteln von Horror und Groteske auch eine Geschichte weiblicher Solidarität erzählt. Ein solches Buch steht neben der »Geschichte des amerikanischen Volkes« von Howard Zinn aus dem Jahre 1980 ­­­­– ein Klassiker der Geschichtsschreibung, konsequent aus der Perspektive der Unterdrückten. Hier ist es nicht Kolumbus, der Amerika entdeckt, sondern die Natives entdecken ein »seltsames Schiff« mit noch seltsameren Menschen darauf. Und dieses fast 1.000 Seiten dicke Werk steht wiederum neben einem ganz anderen Buch wie dem Roman »Kapitulation« von Michel Decar, in dem ein sympathischer Künstler-Loser mit dem 7.500-Euro-Preisgeld der Sparkassenstiftung durchbrennt, oder der Erstübersetzung des »Seemannslieds« von Ken Kesey ­­­­– vor allem bekannt als Autor von »Einer flog übers Kuckucksnest« ­­­­– das aus dem 1980er Jahren heraus einen düster-prophetischen Blick auf unser gegenwärtiges Jahrzehnt wirft.

Flankiert werden diese Neuerscheinungen mit ausgewählten, neu aufgelegten Titeln der Backlist, in deren Auswahl sich nicht nur ein besonders hellsichtiger Blick auf die lange Texttradition des März Verlags zeigt, sondern auch schöne Gedanke, dass die Aktualität eines Buchs nicht an sein Erscheinungsjahr gekoppelt sein muss.

Barbara Kalender und Richard Stoiber haben mit dem März Verlag einen Verlag der Gegenkultur, der Kritik und des Experiments wieder neu gegründet. Sie führen aber nicht nur eine Tradition des Verlegens fort, sie schaffen gleichsam etwas Neues. Der neue März Verlag steht fest in der Gegenwart. Einer der ersten Publikationen des »alten« Verlags im Jahr 1969 war ein »Statement« vorangestellt. Darin hieß es: »Das Programm des März Verlags wird bestimmt durch Publikationen, deren Tendenz die Erweiterung bestehender literarischer und politischer Bewusstseinsformen meint.« Dass der März Verlag seit 2022 mit seinen Titeln an diesem Projekt weiterarbeitet, es aktualisiert und neu denkt ­­­­– dafür verleihen wir ihm gerne den Großen Berliner Verlagspreis.