Laudatio auf den Kraus Verlag
Von Nadia Budde, Mitglied der Jury des Berliner Verlagspreises 2025
»Eine Krake hat acht Arme, neun Gehirne und drei Herzen für dreifache Empathie.« – so beginnt die Vorschau auf »Das Krakentagebuch«, erschienen 2025 im Kraus Verlag.
Man könnte sich diese orangefarbene Krake exemplarisch für den noch jungen Kraus Verlag vorstellen. Seit 2022 schwimmt sie durch die unendlichen Tiefen der Verlagswelt. Während die neun Gehirne vermutlich noch mit Kalkulation, Konzept und Kredit beschäftigt sind, haben sich die acht Arme bereits fühlend, tastend und sich orientierend auf eine große Entdeckungsreise begeben. Schon jetzt hat sich diese Reise gelohnt, richtige Schätze sind gehoben worden. Es sind Bilderbücher für Kinder. Die Autor*innen und Illustrator*innen und Übersetzer*Innen wurden sorgfältig aufgespürt und kommen aus der ganzen Welt.
In den Bilderbüchern geht es, laut Verlagsleiter André Zeugner, um »Quatsch mit Herz«. Und auch hier kommt die Anatomie der Krake zur Geltung: es handelt sich nämlich um Quatsch mit mindestens drei Herzen. Die Empathie, selbstverständlich dreifach, richtet sich an so bemitleidenswerte wie Bewunderung erzeugende Wesen wie: Schildflöten, Herdmännchen, Schmollen oder Wiesel Wiesosel und Warumsel. Auch ein Specht ist dabei, dem vom vielen Klopfen der Kopf schmerzt und dem nun alles spechtige verboten ist. Viele Tiere leben in diesen Bilderbüchern. Es sind Tiere, die genauso sind wie wir und denen wir unsere eigenen Sorgen so herzlich gern abkaufen. Aber auch Menschen treten auf, Menschen mit menschengemachten Problemen. In einer mondrianisch geometrisch-sterilen Wohnung müht sich ein Mann mit einer nicht schnurren wollenden Katze ab. Eine Frau hetzt mit wehender Mähne durch die Gegend und wird von ihren Kindern nur als “Mama im Galopp wahrgenommen und mit Lisberta Nudeldudel überlegt man, was besser wäre: Zähne wie ein Hai oder einen Hals wie eine Giraffe zu besitzen.
In den Bilderbüchern des Kraus Verlags wird beobachtet und auf spielerische, oft ironische Art die Welt erkundet. Es sind Bücher die spannend, lustig und ein bisschen schräg sind. Man könnte die Sprachspielereien und Wortwitze »sinnvollen Unsinn« nennen oder Quatsch mit Herz: an erster Stelle aber steht immer »die Herzensbildung« (André Zeugner).
Genau wie wir schreibt auch eine Krake Tagebuch. Konfrontiert mit den Dingen, die von Menschen achtlos ins Meer gekippt werden, begibt sie sich auf die Suche und erforscht diesen Müll. Sich wundernd, fragend und staunend schließt sie, gemeinsam mit den Lesern, auf das Wesen der Menschen. Überhaupt ist das Wundern und Staunen, das ironische Betrachten um so vieles interessanter und geeigneter die Welt um uns herum zu erkennen, als das zeigen und erklären. Denn im Wundern der Krake über uns, erkennen wir uns und erfahren etwas über uns.
Und das haben alle Kraus-Bilderbücher gemeinsam: Statt der überstrapazierten Mission, Kindern etwas Nützliches beizubringen, wird hier mit feinem Humor und Liebe beobacht und den Lesern die Freiheit gestatt, selbst zu erkennen und selbstständig zu denken. Man muss sich nicht wundern, dass aus einem verunglückten Vorleseabend mit dem eigenen Kind der Beschluss entstanden ist: Ich gründe einen Verlag und mache es, unaufgeregt und uneitel, selbst und vor allem besser.
An allererster Stelle und bevor die acht Arme, die neun Gehirne und drei Herzen zum Einsatz kamen, bevor Neugier, Lust und Entdeckungsfreude ausbrachen, stand vermutlich: MUT! Der Mut, einen Verlag zu gründen, mit einem hohen und so simpel klingenden Anspruch, nämlich herzensgute und lustige Bücher für Jung und Alt zu publizieren. Im oft mainstreamigen Gewässer der Kinderbuchverlage hat der Kraus Verlag Lust darauf, genau in die entgegengesetzte Richtung zu schwimmen.
Der Kraus Verlag ist ein erstaunlich großartiger kleiner frecher und mutiger Verlag!
Tentakeln raus und Weiterschwimmen! Herzlichen Glückwunsch zum Berliner Verlagspreis 2025!
